„Bei mir bist du schön!“
Morgens der Blick in den Spiegel. Schon wieder ein graues Haar. Die Falten werden mehr, die Augenringe sowieso. Die Badezimmerbeleuchtung tut das ihre dazu.
Wenig gnädig ist der Blick, der mir da aus dem Spiegel entgegen schaut. Aber halt. Das ist ja mein Blick in den Spiegel, den ich sehe.
Wie schaue ich eigentlich auf mich selbst?, frage ich mich dann. Ich meine, nicht nur morgens im Spiegel, sondern den ganzen Tag über. Welche Erwartungen habe ich an mich selbst? Und werde ich diesen Erwartungen gerecht? Und schon wieder wird der Blick ungnädig und unzufrieden.
Das Gedankenrad dreht sich weiter. Wenn ich mich schon selber so kritisch sehe, wie sehen mich dann die anderen? Meine Familie, die Menschen im Ort? Und dann merke ich, dass das alles zusammenhängt. Mein Bild von mir selbst und der gefühlte Blick der anderen auf mich.
Es gibt da ein wunderschönes jiddisches Lied: „Bei mir bist du schön.“
Gott schaut anders auf uns Menschen, als wir das tun. Er sieht uns so, wie wir sein möchten und wie er uns will. Er schaut mit liebevollen gnädigen Augen auf uns und sagt: Bei mir bist du schön. Ich mag dich. So, wie du bist. Und auch wenn du so bist. Klar bist du nicht vollkommen, zu verbessern gibt es immer etwas. Aber das sehe ich schon in dir. Ich traue dir zu, dass du dich genau dahin verwandelst. Im Grunde ist das einer der Kerngedanken des zurückliegenden Reformationstages.
Ich möchte mir das gerne vornehmen: Daran zu denken. Diese Ermutigung in mein tägliches Leben hineinzunehmen.
Vielleicht merke ich dann, wie meine Laune wieder besser wird. Und dann kann ich das, was vor mir liegt, gelassener und mutiger angehen. Ich gehe raus und nehme mir als Vorsatz mit: Ich versuche, die anderen Menschen um mich herum auch mit den Augen Gottes anzusehen. Auch sie sind, wie ich, Gottes liebes Kind. Ich spüre, wie mich das offener macht für die Anderen.
Wie würde ich mir das wünschen, dass uns als Menschheit so eine Übung in die Lage versetzt, bei allen Konflikten immer noch das geliebte Kind Gottes im Anderen zu sehen! Aber vielleicht könnten wir einfach bei uns anfangen?