Hingabe

Vor wenigen Tagen feierte die „Barbie“-Puppe ihren 62.Geburtstag. Sie dürfte, gerade bei Mädchen, allgemein bekannt sein. In der DDR erfand man als Alternative die „Steffi“. Das MDR-Fernsehen brachte einen Beitrag über eine Barbie-Sammlerin aus unserer Region. Ich habe gestaunt, mit welcher Hingabe diese Frau von Anfang an diese Puppen gesammelt hat. In ihrem Haus sind mehrere Zimmer damit überfüllt. Man spürt die Leidenschaft, mit der sie ordnet und wie in einem Museum präsentiert. Viele Puppen sind heute schon ein Vermögen wert.

Mit der gleichen Energie sammelt ein älterer Mann Postkarten. Er lebt nicht nur für sein Hobby, sondern unterhält Korrespondenz in alle Welt, die Karten bilden die große Welt in seinem Einfamilienhaus ab. Jeden Tag erhält und versendet er Karten. Fernsehen braucht er nicht, sagte er. Hingabe.

Jeder von uns kennt die Sammelleidenschaft, die zur Hingabe werden kann. Wenn ich mich erst einmal für etwas interessiere, mich weiterbilde, suche und Gleichgesinnte dazukommen, lebe ich für eine Idee, erfüllt sie mich. Langeweile gibt es nicht. Plötzlich wird etwas in meinem Leben total wichtig.

Auch im menschlichen Miteinander gibt es diese völlige Hingabe.

Der Sonntag, vor dem wir stehen, hat von alters her den Namen „Judika“. Es ist das Anfangswort des alten lateinischen Psalmgebetes, das zu diesem Sonntag gehört: „Richte mich, Gott…“. Dahinter steht die Frage, wonach wir unser Leben ausrichten, was wichtig und prägend ist – und Gott, spüren wir, wird nach unserer Hingabe fragen. Wofür stehen wir ein und auf welcher Seite? Welche Konsequenzen hat das, was wir tun und lassen?

Als der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer im Jahre 1939 zu einer Vortragsreise in die USA eingeladen war, hätte er die Möglichkeit gehabt, im Exil dort zu bleiben. Er entschied sich, mit dem letzten Schiff nach Deutschland zurückzukehren. Dort war ihm die Verfolgung durch die Nazis sicher. Er sah seine Aufgabe, für eine bessere Welt zu kämpfen, nur mit seinen vertrauten Freunden und vor Ort erfüllbar. In letzter Konsequenz musste er am 9.April 1945 im KZ Flossenbürg mit dem Leben bezahlen.

Gibt es eine Hingabe, die selbst die eigene Sicherheit und das eigene Leben daransetzt? Ich glaube, viele der Menschen, die sich für bessere Zeiten und eine menschenfreundliche Welt einsetzen, an ganz unterschiedlichen Stellen, kalkulieren mindestens persönliche Nachteile ein. Sehen wir doch die Protestzüge in Belarus und Myanmar. Es ist lebensgefährlich, daran teilzunehmen.

In dieser Passionszeit denken wir an den Leidensweg des Jesus von Nazareth. Sein gewaltloser Protest gegen eine unmenschliche Gesellschaft, in der unter römischer Besatzung Korruption und Sklaverei blühten, Schwache, Kinder, Frauen, Kranke ausgegrenzt waren, führte ihn in die Fänge der lokalen Behörden und der Römer, die jeglichen Widerstand brutal unterdrückten. Aber er ging auch in den Konflikt mit den Radikalen, die am liebsten mit Terror und Gewalt die Welt verändert hätten. Es ist kein Opfertod im alten religiösen Sinn, der ihn erwartete, sondern die Konsequenz einer persönlichen Hingabe.

Ich muss mich fragen lassen, wofür ich mich einsetze. Eine Sammelleidenschaft ist schön und wichtig, aber nicht entscheidend für unsere Welt. Auch ein sogenannter „Heldentod“ nicht. Manchmal reicht schon ein wacher Blick auf das Nötige…

Pfarrer i.R. Andreas Koch, Helmershausen