Visionen

Helmut Schmidt soll mal gesagt haben: „Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen“. Nun ja, das mag richtig sein, wenn es um konkrete politische Entscheidungen geht. Da ist Sachverstand gefragt. Wissenschaftliche Expertise, sagt man wohl heute dazu. Die ist notwendig, ohne Frage. Aber geht das ohne Plan, ohne zu wissen, wo hin die Reise gehen soll, ohne irgend eine Art von Vision. Die Greta Thunberg ist das Gegenbeispiel. Sie hat eine Vision. Sie ist unermüdlich im Einsatz für das Heil der Welt, aber, wie sie in New York vor der UNO gesagt hat, sie will alle Entscheidungsträger in Panik versetzen. Das, liebe Greta, genügt nicht. Panik ist ein schlechter Ratgeber. Ich mag keine Politiker, die in Panik geraten und dann Entscheidungen fällen.

Ich denke: Beides, Realität und Vision muss miteinander versöhnt werden. Das, was ist und das, was sein soll. Wir brauchen eine Vision, um zu wissen wo die Reise hin gehen soll. Und wir brauchen Sachverstand, um die nötigen Schritte jetzt und hier zu tun. Eben beides.

Im Übrigen: Die drei großen Weltreligionen, das Judentum, das Christentum und der Islam, gehen in ihrem Glauben, so verschieden er sonst sein mag, von einer Heilsgeschichte aus. Nicht der Untergang ist das Ziel, sondern das Heil der Welt. Unter uns gesagt: Bei dem, was da jetzt und hier zu tun ist, haben sie oft genug versagt. Aber immerhin: Wir im sogenannten Abendland leben davon, dass wir irgendwo in unserem Innersten eine Vorstellung davon haben, wie die Welt sein soll. Wir alle haben irgendein Bild vom Paradies im Kopf.

Dazu fällt mir ein Film ein, den ich vor vielen, sehr vielen Jahren einmal gesehen habe. „Setzlinge“ aus der UdSSR von 1973, aus Georgien glaube ich. Ein alter Bauer macht sich mit seinem Enkel auf die Suche nach Setzlingen einer seltenen Birnensorte. Alle im Ort verlachen ihn. „Das erlebst du gar nicht, dass da auch nur eine Birne an dem Baume hängt.“ „Was denn“sagt er, „es ist eine gute, winterharte Sorte. Ob ich das erlebe, dass ist nicht wichtig“. Das ist eine Weltsicht, die mir gefällt. Jetzt zu leben, Entscheidungen zu fällen, zu tun, was zu tun ist, alles mit einer ganz grundsätzlichen Hoffnung. Die Politiker haben ein anders, zugegeben etwas ausgelatschtes Bild dafür. Sie reden vom Licht am Ende des Tunnels. Na gut: Ich wünsche uns allen viel Licht am Ende des Tunnels der Pandemie.

Michael Wagner, Meiningen