Von Scheinriesen und Ungeheuern
Es gibt diese Tage, da könnte man meinen, es lohne sich gar nicht aufzustehen. Alles zu viel, zu anstrengend, zu schwer. Unmöglich alles zu schaffen. Der Alltag scheint ein unüberwindbares Ungeheuer. Also lieber gar nicht erst anfangen. Stattdessen könnte man sich noch einmal umdrehen und die Aufgaben und Probleme des Tages sich selbst und der Zukunft überlassen. Ach, würden sie sich doch von selbst lösen!
Nun ist es leider so, dass ich mich von der Fastenaktion der evangelischen Kirche habe beeinflussen lassen. Sie heißt: „Leuchten! Sieben Wochen ohne Verzagtheit“. Sieben Wochen lang mal nicht den Kopf in den Sand stecken. Sieben Wochen nicht davon ausgehen, dass mein Tun und Handeln doch auch nichts nützt.
Aber das sagt sich so leicht dahin. Die Probleme und Ungeheuer gehen davon nicht weg.
Kennen Sie Lukas den Lokomotivführer und Jim Knopf, die beiden Figuren aus dem gleichnamigen Buch von Michael Ende?? Auf ihrer Reise begegnete ihnen so einiges Erschreckendes. Einmal begegneten sie auch einem Riesen. „Und was er da draußen sah, das übertraf einfach alles, was ihm jemals vor Augen gekommen war. Am Horizont stand ein Riese von so ungeheurer Größe, dass selbst das himmelhohe Gebirge „Die Krone der Welt“ neben ihm wie ein Haufen Streichholzschachteln gewirkt hätte.“ Eine Riese, mitten in der Wüste. Manchmal kommt es doch doppelt schlimm, könnte man meinen.
Zum Glück waren Jim und Lukas zu zweit unterwegs. Denn während Jim schon meinte, dass es jetzt aus mit ihnen sei, blieb Lukas ganz ruhig. „Bloß, weil er so groß ist, braucht er doch noch lange kein Ungeheuer sein.“
Und Lukas sollte Recht behalten. Je näher die beiden dem Scheinriesen kamen, desto kleiner wurde er. Der Riese hieß Herr Turtur. Herr Turtur war ein Scheinriese, so wie wir alle anderen Scheinzwerge sind. Während wir aus der Ferne ganz klein wirken, erscheint Herr Turtur mit der Entfernung zu wachsen. Von Nahem betrachtet ist er aber ganz normal und so mitunter sogar eine große Hilfe. Alles eine Frage des Blickwinkels.
Wenn Sie vielleicht mal wieder so einen Tag haben oder so einen Gedanken, bei dem Sie denken, das wird doch alles nichts, dann bleiben Sie noch einen Moment liegen. Atmen Sie in Ruhe ein und aus. Gucken sie auf die ersten „Ungeheuer“ des Tages. Sind sie wirklich so groß, oder scheinen sie nur so?
Und dann, stehen Sie ohne Verzagtheit auf, und lassen sie die Ungeheuer auf sich zukommen. Es ist an der Zeit zu überprüfen, ob sie nicht auch nur Scheinriesen sind.