Die Unverfügbarkeit des Schnees
„Was sollen wir denn bitte jetzt mit Schnee? Es ist doch noch lang nicht Weihnachten. Und Weihnachten selbst werden wir dann wieder bei gemütlichen 14 Grad und Nieselregen zubringen!“, sagte neulich mein Nachbar und ich merkte gleich, dass in diesem Satz nicht nur Unverständnis, sondern auch Enttäuschung über das Wetter lag. Das machte mich gleich ein bisschen traurig, denn ich befürchte, dass er recht behalten wird.
Wäre doch aber schön, so weiße Weihnachten.
Wer die letzte Woche in Meiningen oder in der Umgebung verbrachte, der konnte zumindest jetzt den vorweihnachtlichen Schnee schon genießen. Wie er alles in ein weißes Kleid hüllte. Wie er die Welt ein bisschen beruhigte. Schnee genau zu Weihnachten, wäre das nicht schön. Marktplatz und Kirche im akkuraten weißen Kleid. Kann man nur leider nicht einfach so bestellen.
In älteren Religionen war der Gott der Unverfügbarkeit der Wettergott. Er wurde nicht nur im Winter verehrt. Er war auch dafür verantwortlich, dass das Hütesfest, die eigene Hochzeit im Mai oder das Jubiläum im August bitte bei bestem Sonnenschein und angenehmen Temperaturen stattfinden soll. Sogar ansonsten eher agnostisch eingestellte Menschen lassen sich dann zu einem „Jetzt muss nur noch der Wettergott mitspielen“ hinreißen.
Wie gerne würden wir alles bestimmen können, alles genau festlegen und einem ausgefeilten Plan zugrunde legen. Wir haben uns selbst beigebracht, dass alles immer und überall verfügbar sein muss. Und wir wünschen uns, dass dies für alle Dinge des täglichen Lebens gilt.
Nur widersetzt sich Schnee locker flockig all diesen Versuchen und lässt über sich eben nicht verfügen. Es ist ja nicht so, dass wir es nicht versuchen würden. In großen Hallen wird der Schnee konserviert. Zugleich werden mit großen Kanonen die grünen Hänge von Oberhof und Schmiedefeld geweißt. Der Unterschied zu echtem Schnee wird dadurch aber nur noch größer. Weiße Piste neben grün brauner Fläche? Romantisch ist das leider nicht wirklich.
Bei Romantik fällt mir dann der Theologe Friedrich Schleiermacher ein. Es heißt, dass er im technischen Fortschritt nicht die Lösung für alles sah. Stattdessen war er fasziniert von dem Geheimnisvollen und Unverfügbaren in der Welt. Seiner Überzeugung nach gibt es in jedem von uns das tiefe menschliche Bedürfnis nach etwas, von dem man ahnt, dass es nicht aus der Hand der Menschen ist. Er nannte es „das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit“. Andere sagen dazu „das Unverfügbare“ oder Gott, oder eben einfach Schnee. Jetzt glaube ich doch, dass er Weihnachten kommt.