Geduld
In diesem Frühjahr treffe ich sie überall, eigentlich war sie nie ganz verschwunden, nur verborgen, aber jetzt prägt sie das Straßenbild: Die Schlange - die Warteschlange. Vor dem Fleischerladen, vorm Bäckergeschäft, der Post, vor dem Baumarkt oder dem Drogeriemarkt.
Ich stehe wieder an. Und muss warten. Mich in Geduld üben.
Ich merke: Geduld zu haben ist eine schwierige Übung. Eigentlich habe ich keine Zeit zum Warten. Es macht mich nervös, ich schaue auf die Uhr, stöhne und weiß tausend Dinge, die ich jetzt eigentlich unbedingt tun müsste. So sehr hat sich der Takt des Lebens beschleunigt, dass vieles gleich, sofort, mit einem Klick auf der Tastatur geschehen muss. Das gilt für Einkäufe, Urlaubsbuchungen, Meinungsäußerungen - ein Leben wie auf der Überholspur.
Es fällt schwer zu warten, etwas reifen zu lassen, sich selbst und anderen Zeit zu geben.
Geduld zu haben ist eine besondere Gabe, sie braucht eine besondere Haltung, hat einen langen Atem.
Wohl auch deshalb nennt die Bibel die Geduld als eine Frucht des heiligen Geistes, neben Liebe, Freude und Frieden, Freundlichkeit und Güte, Treue, Bescheidenheit und Selbstbeherrschung. (Galater 5,22f).
Zu Pfingsten haben Christen gefeiert, dass Gott seinen Geist, seine Energie, an Menschen weiterschenkt, damals in Jerusalem an die Jünger*innen Jesu – die Geburtsstunde der Kirche- und heute durch die Taufe.
Gott schenkt seine Energie für einen langen Atem, für das Warten und für die Geduld, nicht nur in Corona-Zeiten.
Wer einen Kirschbaum hat, weiß, dass sich das Warten lohnt. Nach der Kirschblüte zeigen sich die ersten kleinen grünen Kirschen, sie wachsen und - so Gott will - ernten wir im Sommer rote, leckere Kirschen. Es braucht Zeit und bis dahin wächst die Vorfreude.
Wer schwanger ist mit Babys oder Ideen weiß, dass es seine Zeit braucht und dass es nicht immer zu einem guten Ziel kommt.
Wer für Frieden und Versöhnung arbeitet, kennt die vielen kleinen Schritte und den langen Atem, bis Vertrauen unter Menschen wächst.
Wie tröstlich, dass zu Gottes Eigenschaften die Geduld, der lange Schöpfer-Atem gehört!
Und wie gut, dass er uns diesen langen Atem schenkt, für alles was Zeit braucht um zu Wachsen und zu Reifen.
Auch für die Zeit in Warteschlangen vor dem Bäcker, dem Drogeriemarkt oder der Post: Beim Reden und gemeinsam Lachen wird das Warten übrigens erfrischend kurzweilig.
Beate Marwede, Superintendentin des Kirchenkreises Meiningen