„Unerhört, diese Alten!“
Wir in den Kreisdiakoniestellen in ganz Thüringen machen uns zurzeit viele Gedanken um das Thema „Älterwerden“. Und dazu kann einem wahrlich viel einfallen.
Als ich als Sechsjähriger meinen vierjährigen Bruder erklärte, dass ich schon sechs volle Jahre auf der Welt lebe, fühlte ich mich sehr erhaben und stolz. In ihm wurde die Sehnsucht geweckt, auch bald so groß, alt und lebenserfahren zu werden, wie ich es bereits war.
Aber auch ich wollte noch älter werden. Wenn man 10 ist, möchte man 12 sein, dann 14, 17, 18 natürlich… Irgendwann zwischen 20 und 30 ist dann das Älterwerden plötzlich nicht mehr so attraktiv, weil man bemerkt, dass es ganz von alleine geht und sich nicht aufhalten lässt. Und so werden mir sicher viele zustimmen, dass runde Geburtstage oft auch mit befremdlichen Gefühlen erlebt werden, denn „Schön ist die Jugend, sie kommt nicht mehr!“ So viel ist sicher.
Nun wird unsere Gesellschaft immer älter, sprich, die Menschen, aus denen sie besteht. Und das ist etwas sehr Schönes, denn es hat gute Gründe. Unsere Lebenserwartung steigt. Das kommt nicht von ungefähr, sondern weil wir heute auf eine lange Phase von Frieden, Demokratie, Wohlstand und einer vergleichsweise sehr guten gesundheitlichen Versorgung zurückblicken können. Man kann nur hoffen, dass dieser Zustand noch lange anhält, denn Gründe, dass er auch mal enden kann, hat bedauerlicherweise jedermann und -frau heute nah vor Augen.
So, wie man als Kind größer und älter werden will, streben viele Menschen nach Zielen, die in der Zukunft liegen. Sie sehnen sich andererseits nach Zuständen, die in ihrer Vergangenheit herrschten. Es ist aber klug, sich in der Lebensphase wohlzufühlen, in der man sich gerade befindet. Denn – wenn man auch vieles ändern kann – diese Phase kann man sicher nicht aussuchen.
Sehnt sich der berufstätige Mensch beispielsweise nach den Freiheiten des Rentners, vergisst er dabei bestimmt, dass eben dieser ältere Mensch möglicherweise weniger Einkommen und größere körperliche Gebrechen hat als er und gar nicht so kann, wie er vielleicht will. Bei der Sehnsucht nach der ach so schönen Zeit der Jugend werden andererseits oft die große Unsicherheit in der eigenen Identität, die Planlosigkeit bei der Ausbildungs- und Jobsuche, die völlige finanzielle Abhängigkeit oder das Gefühl des Ausgeliefertseins an unbeliebte Lehrer*innen und dergleichen vergessen. Klar, tanzen und verliebt in Sommernächten schwärmen konnte man da besser. Das ist das andere.
So hat jedes Lebensalter seine Freiheiten, aber auch seine Zwänge. Und die Generationen brauchen einander. Wie wäre es, wenn die Älteren unter uns etwas von ihrer Gelassenheit und Weisheit den Jüngeren schenken würden? Wie wäre es, wenn die Jüngeren unter uns den Älteren mal ihre digitale Welt erklären oder die gute alte Einkaufstasche tragen? Und die, die so mittendrin sind, und nicht wissen, ob sie alt oder jung sind, dürfen sich was aussuchen, was sie anderen Gutes tun können.
Wenn wir Menschen füreinander da sind, wird nicht nur die Welt schöner, sondern wir fühlen uns auch selbst besser. Jemandem einen Gefallen zu tun, kann sogar Glücksgefühle auslösen, ganz egal, wie alt wir sind. Probieren wir es aus!