Vom Umgang mit dem neuen Mitbewohner
Wir haben einen neuen Mitbewohner. Ganz ungeplant. Unangenehme Person. Eine richtige Nervensäge (- tut mir leid, dass ich das als Pfarrerin so sagen muss).
Zunächst wohnte er nur im Keller. Da habe ich ihn gar nicht so ganz ernst genommen. Ich fand ihn eher interessant, exotisch, ungewöhnlich. Wir haben uns hin und wieder unterhalten. Aber er hat mich nicht übermäßig beschäftigt. Und dann in den letzten zwei Wochen ist er einfach bei uns eingezogen. Plötzlich sah ich ihn täglich in unserer Wohnung. Schon am Frühstückstisch hält er mir nun sein Gesicht vor die Nase, rennt mir in alle Winkel des Hauses nach. Lässt mich gar nicht mehr in Ruhe. Er zog sogar in mein Handy ein und in unseren Fernseher!! Manchmal habe ich das Gefühl, ich kann gar nicht mehr anders, als ihn die ganze Zeit anzustarren. Aber das tut mir nicht gut, meinem Alltag nicht, meiner Seele nicht. Ich bin schon richtig dauermüde von seinem ständigen Eingemische in mein Leben.
Und nochwas: ich habe das Gefühl, dass er größer geworden ist. Ja! Tatsächlich. Je mehr ich ihm meine ganze Aufmerksamkeit schenke, desto größer erscheint er mir. Und außerdem bringt er hin und wieder auch noch andere Gäste mit: Ängste, Einsamkeit und Sorgen heißen die. Ehrlich gesagt will ich die nicht in meinem Leben haben. Ich bin wütend, weil er einfach so mein Leben verändert. Ihn überhaupt nicht beachten geht leider nicht. Es scheint, dass wir ihn noch eine Weile ertragen und erst nehmen müssen.
Wir haben heraus gefunden, dass er hin und wieder ein wenig unsichtbar wird, und auch seine Freunde ausbleiben, wenn wir zum Beispiel zusammen kochen. Wenn wir mit jemandem telefonieren und zusammen auch mal lachen. Wenn wir uns losschütteln aus der lähmenden Welle der Nachrichten und den stündlichen Veränderungen. Wenn wir hinaus gehen oder uns am Fenster in die Sonne setzen. Wenn wir Zettel mit Mutworten aufhängen und alte Spiele spielen. Wenn wir die Blumenkästen versorgen und wenn wir singen. Ja, singen mag er gar nicht. Überhaupt keine Musik. Und Gebete mag er auch nicht. Weil er da nicht der King ist. In unseren Gebeten hat ein anderer die Krone auf: Gott. Auch wenn wir dort unsere Sorgen aussprechen, sind sie erfüllt von unserem Vertrauen in Gott. Da lebt unsere Beharrlichkeit, an seiner Hoffnung festzuhalten.
„Meine Augen sehen stets auf den HERRN; denn er wird meinen Fuß aus dem Netze ziehen.“ schreibt einer in der Bibel. Besonders gut geht das gemeinsam. Zum Beispiel immer dann, wenn überall unsere Glocken läuten. Macht eure Fenster weit auf und seid euch sicher: Jetzt beten auch andere. Jetzt denken wir aneinander. Jetzt könnt ihr gerade aufatmen. Jetzt könnt ihr Bestärkung tanken.