Fünf Worte
Seit ich einen Namen trage, trägt er ein bisschen auch mich. Meine Eltern haben ihn mir verliehen wie ein Siegel. Nun macht er mein Leben schon über sechzig Jahre lang ansprechbar. Inzwischen ist mein Name mit mir alt und rund geworden. Er hat sich mit Leben gefüllt, mit Begegnungen und Ereignissen. Er erzählt von mir in den Geschichten meiner fünfundsechzigjährigen Biografie. Das ist mit jedem Namen so, um den sich viele Jahre versammeln durften. Er ist wie eine Spieldose. Wenn du meinen Namen hörst, dann hörst du ein bisschen auch die Musik meines Lebens. Das ist die Frucht und auch schon die Ernte all der Jahre, die man zählen kann.
Aber irgendwann ist diese Zählung abgeschlossen. Dann wird mein Spieldosenname auf einem Grabstein zu lesen sein, eingerahmt vom ersten und letzten Tag meines irdischen Lebens. Was dort außerdem noch stehen soll, habe ich längst aufgeschrieben und hinterlegt. Es ist das grandiose Wort des biblischen Thomas, meines Namensvetters - das kürzeste aller Bekenntnisse: „Mein Herr und mein Gott.“ Ich liebe diese fünf Worte. Sie sind das fröhliche Credo meines Lebens, meine himmlische Spieldosenmusik. Denn wer mich fünfundsechzigjährigen Thomas kennt, der weiß: Ich bin gespannt auf die heiligste aller Begegnungen am anderen Ufer der Zeit. Nein, ich freue mich nicht auf den Tod. Aber ich vertraue darauf, dass er nur das irdische Geschichtenbuch meines Lebens schließen wird. Danach beginnt die Stunde der Glaubenskindsköpfe, der heiligen Seiltänzer und Hoffnungsvirtuosen. Die Stunde der gerufenen Namen: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du gehörst zu mir.“ Ich weiß meine Antwort schon. Es sind ja auch nur fünf Worte: „Mein Herr und mein Gott."
Thomas Perlick, Bad Brückenau